Veranstaltung: | Landesparteirat 2. September 2021 |
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Tagesordnungspunkt: | 5. INNERES - KOMMUNALES - RECHT |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteirat |
Basierend auf: | K08: Keine Bestrafung wegen Fahrens ohne Fahrschein |
Keine Bestrafung wegen Fahrens ohne Fahrschein
Beschlusstext
Der Landesparteitag der SPD Sachsen möge beschließen und an die SPD-
Landtagsfraktion weiterleiten:
Fahren ohne Fahrschein wird gegenwärtig in Deutschland nach § 265a StGB als
“Erschleichen von Leistungen” geahndet.[1] Die Diskussion um eine Reform dieser
Rechtslage läuft seit vielen Jahren. Im Dezember 2019 wurden zwei Anträge,
welche die entsprechende strafrechtliche Verfolgung gänzlich abschaffen wollten,
vom SPD-Bundesparteitag an den Parteivorstand zur weiteren Beratung
überwiesen.[2] Die Entkriminalisierung des sog. "Schwarzfahrens" ist weiterhin
langfristig unser Ziel.
Unabhängig von dieser generellen und längeren Debatte fordern wir:
Solange Beförderungserschleichung noch strafbar ist, braucht es Maßnahmen, um
insbesondere Menschen ohne oder mit geringem Einkommen vor den Notlagen, die aus
einer Verurteilung zu Geldstrafen herrühren können, zu schützen. Die
Verurteilungen können für die betroffenen Personen eine Abwärtsspirale in Gang
setzen. Der Verurteilung zur Geldstrafe folgt nicht selten die Überschuldung und
später (Ersatz-)Freiheitsstrafen. Wir werden daher auf allen Ebenen darauf
hinwirken, dass in Fällen des Fahrens ohne Fahrschein keine Strafanträge mehr
gestellt werden.
Ein Strafverfahren wegen Beförderungserschleichung im ÖPNV soll unter der
Auflage eingestellt werden, dass die*der Beschuldigte eine Jahreskarte,
beziehungsweise ein einjähriges Abonnement, für den lokalen ÖPNV erwirbt. Sofern
eine Tarifzonenregelung besteht, bezieht sich das zu erwerbende jahresabonnement
auf die Tarifzone,in der die Person ohne Fahrschein aufgegriffen wurde. Dazu
sollen auch kommunale Angebote, beispielsweise der Leipzig-Pass[4] gehören.
[1] vgl. MüKo StGB/Hefendehl § 265a Rn 59 ff.
df (abgerufen am 02.10.2020 19:12 Uhr) Anträge I18 und I19
[3] vgl. MüKo StPO/Peters § 153a Rn 95 f.
[4]https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/soziale-hilfen/leipzig-
pass/ (abgerufen am 02.10.2020 19:01 Uhr)
[5] vgl. zu ministeriellen Weisungen generell:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/weisungsrecht-staatsanwalt-justiz-
politik-extern-generalbundesanwalt-generalstaatsanwalt/2/ (abgerufen am
02.10.2020 19:24 Uhr)
Begründung
Die Strafverfolgung wegen Beförderungserschleichung im ÖPNV trifft häufig
diejenigen in unserer Gesellschaft, die bereits mit vielen Beeinträchtigungen zu
kämpfen haben. Menschen, die ohnehin (temporär) Probleme haben, ihr Leben “in
den Griff” zu bekommen, droht durch die Strafverfolgung die weitere
Abwärtsspirale. Diese reicht bis zur Ersatzfreiheitsstrafe für nicht bezahlte
Geldstrafen oder bei wiederholter Tatbegehung Freiheitsstrafe. Dies kann
aufgrund der geringen Summen, um die es geht nicht mehr als verhältnismäßig
angesehen werden. Die drohende Abwärtsspirale widerspricht vehement dem
Resozialisierungsgedanken. Eine weitere generalpräventive/ abschreckende Wirkung
durch die Bestrafung ist bei diesem Tattypus ohnehin nicht zu erwarten. Im
Übrigen wird diese auch weiterhin über die zivilrechtliche Vertragsstrafe
gewährleistet.
Eine besondere gesellschaftliche Schieflage wird offenbar, vergleicht man die
Verfolgung von Beförderungserschleichung im ÖPNV mit der Behandlung von
Falschparker*innen. Letzteres ist nicht strafbar und wird mit nur einem geringen
Ordnungsgeld verfolgt.
Solange der politische Wille nicht gegeben ist eine Änderung im materiellen
Strafrecht herbeizuführen kann die hier vorgeschlagene prozessuale Lösung das
Leid lindern. Die Forderung ist mit Ausnahme des letzten Absatzes auf
Landesebene umsetzbar.