Veranstaltung: | Landesparteitag der SPD Sachsen 2021 |
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Tagesordnungspunkt: | 8.7. Inneres - Kommunales - Recht |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | SPD-Landesparteitag |
Basierend auf: | K03NEU: Antrag zum Wahlrecht für Ausländer:innen in Deutschland |
Antrag zum Wahlrecht für Ausländer:innen in Deutschland
Beschlusstext
Die SPD sieht es als ihren Auftrag an, eine Gesellschaft zu schaffen, in der
möglichst viele Menschen an demokratischen Prozessen teilhaben. Der Ausschluss
von Teilen der Bevölkerung von Wahlen und Abstimmungen ist für uns ein nicht
haltbarer Zustand, der für alle Ebenen beendet werden muss. Wir müssen die
weitere Demokratisierung unserer Gesellschaft weiter vorantreiben. Wir fordern
daher das die SPD sich auf allen Ebenen dafür einsetzt, dass EU-AusländerInnen
sowie allen InhaberInnen einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum
Daueraufenthalt das aktive und passive Wahlrecht ermöglicht wird.
Als ersten Schritt in diese Richtung wird sich die SPD Sachsen dafür einsetzen,
dass EU-Ausländer:innen das passive und aktive Wahlrecht für die Landtagswahlen
eingeräumt wird und dass die Regelungen für Inhaber:innen einer
Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU an
diejenigen von EU-Ausländer:innen angeglichen wird.
Begründung
Die Geschichte des Wahlrechts ist eine Geschichte des gesellschaftlichen
Fortschritts, eine immer demokratischere Gesellschaft zu schaffen. Die deutsche
Sozialdemokratie ist diesem Ziel verpflichtet. Zu unserer Geschichte gehört
Willy Brandts Ausspruch "mehr Demokratie wagen" ebenso, wie der Einsatz für ein
allgemeines und gleiches Wahlrecht, das Frauenwahlrecht, die Senkung des
Wahlalters oder das jüngst etablierten Wahlrechts für Menschen mit Betreuung.
Daher muss die SPD folgerichtig auch einen weiteren Schritt in Richtung einer
demokratischeren Gesellschaftsordnung mitgestalten und sämtliches aktives und
passives Wahlrecht auf alle Mitbürger:innen unabhängig von ihrer
Staatsangehörigkeit ausweiten. Nur durch eine Einbindung in demokratische
Prozesse fördern wir eine Identifikation mit unserer Demokratie.
Laut Statistischem Bundesamt leben in der Bundesrepublik Deutschland 11,23
Millionen Ausländer:innen (Stand 12/19), von denen 4,88 Millionen EU-
Bürger:innen sind. Während aufgrund einer Grundgesetzänderung letztere im Zuge
der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags zumindest das Wahlrecht auf kommunaler
und Europaebene besitzen, sind erstere von jeglicher Art demokratischer
Mitbestimmung in diesem Land ausgeschlossen.
Dieses Demokratiedefizit in der Bundesrepublik Deutschland erweist sich auch im
internationalen Vergleich als Eklatant. So besitzen ausdrücklich alle
Ausländer:innen in 14 EU-Staaten bereits das Kommunalwahlrecht (Belgien,
Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Portugal,
Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Ungarn). International gewähren 52
Staaten Ausländer:innen das Wahlrecht, inklusive vier Staaten auf nationaler
Ebene (Chile, Malawi, Neuseeland, Uruguay).
Die am 31.10.1990 vom Bundesverfassungsgericht vorgetragene Begründung für einen
Wahlrechtsausschluss von Ausländer:innen, das Grundgesetz meine mit dem "Volk"
lediglich Mitbürger:innen mit bundesrepublikanischer Staatsangehörigkeit, ist
überholt. Die durch den Maastricht-Vertrag und der daraus resultierenden Praxis
erfolgte Entkopplung von Staatsangehörigkeit und Wahlrecht muss auch
Konsequenzen für die Auslegung von Art. 20 Abs. 2 GG haben. Das sich die
Auslegung von Begriffen des Grundgesetzes aufgrund des gesellschaftlichen
Fortschritts verändern können, zeigt schon die Fortentwicklung des Ehe-Begriffs
des Art. 6 GG in Abkehr des Bildes einer verschiedengeschlechtlichen Ehe.
Insbesondere in Sachsen ist eine Ausweitung des Wahlrechts möglich. Art. 5 Abs.
1 S. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen lautet "Dem Volk des Freistaates
Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an."
und entkoppelt damit die zugehörigkeit zum "Volk" des Freistaates von ethnischen
oder staatsbürgerrechtlichen Kriterien. Aus der Homogenitätsklausel des Art. 28
Abs. 1 S. 1 GG folgt nicht, dass die Länder bei der Ausweitung demokratischer
Mitbestimmung durch das Grundgesetz gehindert währen, ansonsten wäre bspw. die
Absenkung des Wahlalters für Landtagswahlen durch das Grundgesetz versperrt.
Der millionenfache Ausschluss von Menschen, die teilweise seit Jahren oder
Jahrzehnten in diesem Land leben oder gar hier geboren wurden und aufgewachsen
sind, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, hier arbeiten, Steuern zahlen und
von der Gesetzgebung der angesprochenen legislativen Ebenen unmittelbar
betroffen sind, ist mit unserem Selbstverständnis als demokratische
Gesellschaft, in der Mitbestimmung, Teilhabe und Verantwortung auf alle
Schultern gleich verteilt werden sollten, nicht zu vereinbaren. Im Gegenteil:
der momentane Zustannd ist ungerecht! Die Parole der amerikanischen
Unbhängigkeitsbewegung, no taxation without representation, fasst diesen
demokratischen Anspruch eindrucksvoll zusammen und hat auch 250 Jahre später
ihre Relevanz nicht verloren.