Veranstaltung: | Landesparteitag der SPD Sachsen 2021 |
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Tagesordnungspunkt: | 8.7. Inneres - Kommunales - Recht |
Antragsteller*in: | SPD-Stadtverband Leipzig |
Status: | Verschoben |
Verfahrensvorschlag: | Verschoben zu |
Eingereicht: | 11/30/2020, 11:58 |
K08: Keine Bestrafung wegen Fahrens ohne Fahrschein
Votum der Antragskommission
Debatte
Antragstext
Der Landesparteitag der SPD Sachsen möge beschließen und an die SPD-
Landtagsfraktion weiterleiten:
Fahren ohne Fahrschein wird gegenwärtig in Deutschland nach § 265a StGB als
“Erschleichen von Leistungen” geahndet.[1] Die Diskussion um eine Reform dieser
Rechtslage läuft seit vielen Jahren. Im Dezember 2019 wurden zwei Anträge,
welche die entsprechende strafrechtliche Verfolgung gänzlich abschaffen wollten,
vom SPD-Bundesparteitag an den Parteivorstand zur weiteren Beratung
überwiesen.[2]
Unabhängig von dieser generellen und längeren Debatte fordern wir:
Solange Beförderungserschleichung noch strafbar ist, braucht es Maßnahmen, um
insbesondere Menschen ohne oder mit geringem Einkommen vor den Notlagen, die aus
einer Verurteilung zu Geldstrafen herrühren können, zu schützen. Die
Verurteilungen können für die betroffenen Personen eine Abwärtsspirale in Gang
setzen. Der Verurteilung zur Geldstrafe folgt nicht selten die Überschuldung und
später (Ersatz-)Freiheitsstrafen. Wir schlagen einen Ansatz über § 153a I 1 StPO
vor. § 153a StPO erlaubt die Einstellung von Strafverfahren gegen Weisungen oder
Auflagen. Die Liste nach § 153a I 2 StPO ist nicht abschließend und auch dort
nicht explizit genannte Maßnahmen sind grds. möglich.[3]
Ein Strafverfahren wegen Beförderungserschleichung im ÖPNV soll unter der
Auflage eingestellt werden, dass die*der Beschuldigte eine Jahreskarte für den
lokalen ÖPNV erwirbt. Dazu sollen auch kommunale Angebote, beispielsweise der
Leipzig-Pass[4] gehören.
Die SPD-Landtagsfraktion soll sich gegenüber der Landesjustizministerin für den
Erlass einer entsprechenden Weisung[5] nach § 147 Nr. 2 GVG einsetzen.
Die Bindung an ein Jahresabo verhütet die erneute “Tatbegehung” und lässt
dadurch das “öffentliche Interesse an der Strafverfolgung” entfallen, wie es §
153a I 1 StPO fordert.
Für Fälle, in denen aufgrund einschlägiger Vorstrafen oder Zahlungsunfähigkeit
das oben beschriebene Verfahren ausscheidet, schlagen wir bei
Leistungsbezieher*innen nach SGB II ein Verfahren entsprechend § 22 VII S. 1 SGB
II (Überweisung des Mietzinses durch die Behörde direkt an den Vermieter) vor.
Hierfür etwaig erforderliche sozialrechtliche Rechtsgrundlagen sind zu schaffen.
[1] vgl. MüKo StGB/Hefendehl § 265a Rn 59 ff.
df (abgerufen am 02.10.2020 19:12 Uhr) Anträge I18 und I19
[3] vgl. MüKo StPO/Peters § 153a Rn 95 f.
[4]https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/soziale-hilfen/leipzig-
pass/ (abgerufen am 02.10.2020 19:01 Uhr)
[5] vgl. zu ministeriellen Weisungen generell:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/weisungsrecht-staatsanwalt-justiz-
politik-extern-generalbundesanwalt-generalstaatsanwalt/2/ (abgerufen am
02.10.2020 19:24 Uhr)
Begründung
Die Strafverfolgung wegen Beförderungserschleichung im ÖPNV trifft häufig
diejenigen in unserer Gesellschaft, die bereits mit vielen Beeinträchtigungen zu
kämpfen haben. Menschen, die ohnehin (temporär) Probleme haben, ihr Leben “in
den Griff” zu bekommen, droht durch die Strafverfolgung die weitere
Abwärtsspirale. Diese reicht bis zur Ersatzfreiheitsstrafe für nicht bezahlte
Geldstrafen oder bei wiederholter Tatbegehung Freiheitsstrafe. Dies kann
aufgrund der geringen Summen, um die es geht nicht mehr als verhältnismäßig
angesehen werden. Die drohende Abwärtsspirale widerspricht vehement dem
Resozialisierungsgedanken. Eine weitere generalpräventive/ abschreckende Wirkung
durch die Bestrafung ist bei diesem Tattypus ohnehin nicht zu erwarten. Im
Übrigen wird diese auch weiterhin über die zivilrechtliche Vertragsstrafe
gewährleistet.
Eine besondere gesellschaftliche Schieflage wird offenbar, vergleicht man die
Verfolgung von Beförderungserschleichung im ÖPNV mit der Behandlung von
Falschparker*innen. Letzteres ist nicht strafbar und wird mit nur einem geringen
Ordnungsgeld verfolgt.
Solange der politische Wille nicht gegeben ist eine Änderung im materiellen
Strafrecht herbeizuführen kann die hier vorgeschlagene prozessuale Lösung das
Leid lindern. Die Forderung ist mit Ausnahme des letzten Absatzes auf
Landesebene umsetzbar.